14. Februar 2002

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Umsiedlung und Stadtsanierung im Distrikt des ehemaligen Weltbankprojektes Tulan

Umbaumaßnahmen größeren Stils scheinen in der Kleinstadt bevorzustehen, welche dieser Gegend Qinghais, in die im Rahmen eines ehrgeizigen, chinesischen Staatsprojektes Tausende von armen Wanderbauern umgesiedelt werden sollen, am nächsten liegt. Dieses sollte ursprünglich von der Weltbank finanziert werden. Einem Augenzeugenbericht vom Ende letzten Jahres zufolge wurde in der Kleinstadt Xiangride im Distrikt Tulan (chin. Dulan) praktisch jedes Haus entlang der langen Straße (sogar relativ neue, mehrstöckige Gebäude) mit einem weithin sichtbaren chinesischen Wortzeichen "chai" markiert. Dies bedeutet bevorstehenden Abriß. Das Ausmaß der geplanten Abbruchaktion zeigt, daß die Regierung ein vollständig neues Stadtbild in Xiangride schaffen will, das als wirtschaftliches und administratives Zentrum für die vergrößerte Einwohnerzahl in diesem Distrikt dienen soll. China scheint das Tempo für die Verwirklichung des Umsiedlungsprojektes in Tulan beschleunigt zu haben, seitdem es im Juli 2000 seinen Antrag auf Finanzierung durch die Weltbank zurückzog.

Im Juli 2000 lehnte China die Bedingungen der Weltbank ab und zog seinen Antrag auf einen $40 Mio. Kredit für das kontroverse Projekt zurück. Dieses beinhaltet die Umsiedlung von annähernd 58.000 armen Bauern aus Ost-Qinghai, von denen weniger als 10% Tibeter oder Mongolen sind, in einen traditionell tibetischen und mongolischen Landstrich in der Provinz Qinghai, zu dem auch die Kleinstadt Xiangride gehört. Peking verkündete daraufhin, es würde das Projekt "auf seine eigene Art und Weise" durchführen, wie der chinesische Weltbankdirektor Zhu Xian am 7. Juli 2000 sagte. Westlichen Journalisten, die Qinghai im Sommer 2001 zum Zweck der Berichterstattung besuchten, erklärte der Vizegouverneur der Provinz, Bai Ma, das erste Kontingent von 20.000 Leuten würde innerhalb von drei Jahren nach Tulan umgesiedelt werden.

Nach einem Bericht in Qinghai Daily vom 10. August rechnet China damit, den "Großteil" des Projektes bis Ende 2002 beendet zu haben, und die wichtigsten "baulichen Aufgaben" sollen innerhalb von 2 Jahren bewältigt werden. Der ursprüngliche Zeitplan der Weltbank sah die Fertigstellung eines Wasserspeichers und eines Straßennetzes bis 2003 vor, der Stromversorgung bis 2004, des Bewässerungssystems bis 2005 und den Abschluß der Umsiedlung bis 2006 (Weltbankprojekt-Beurteilung, 1. Juni 1999). Eine beschleunigte Projektdurchführung könnte bedeuten, daß die Behörden einen gewissen Kompromiß eingehen müssen, um Zeit und Geld zu sparen. Die potentielle Umweltschädigung stand für die Untersuchungskommission der Weltbank, welche 1999 und 2000 das Projekt erforschte, im Mittelpunkt ihrer Bedenken. In ihren Ausführungen vom 28. April 2000 kam sie zu dem Schluß: "In Anbetracht des Umfanges der nicht rückgängig zu machenden Umwandlung vieler natürlicher Lebensräume in dem Projektgebiet, wozu 19.000 ha zu bewässerndes Land und bauliche Entwicklungen wie Dämme, Kanäle, Siedlungen, Dörfer und Straßen (insgesamt mit einer Fläche von schätzungsweise zu 21.444 ha) gehören, kann nicht ausgeschlossen werden, daß es möglicherweise einen Verlust an entscheidenden natürlichen Lebensräumen geben wird".

Der Abriß des Hauptareals der Stadt Xiangride ist wahrscheinlich ein wichtiger Teil der ehrgeizigen und beschleunigten Entwicklungspläne im Distrikt Tulan. Die Provinzregierung strebt an, die landwirtschaftliche Basis und die Infrastruktur in der Gegend weiterauszubauen, damit sie die reichen Bodenschätze in Qinghai ausbeuten kann, nämlich Erdöl, Erdgas, Asbest, Salz, Pottasche, Blei und Zink. Die hauptsächliche Bergbauzone der Chinesen in dem Qaidam (tib. Tsaidam) Becken weiter westlich, wo Erdöl und Erdgas, Salz und Pottasche und andere Mineralien abgebaut und für die Verwendung in der chinesischen Energie-, Kunststoff-, Düngemittel und petrochemischen Industrie aufbereitet werden, benötigt Nachschub an frischen Nahrungsmitteln, Getreide und anderen grundlegenden Verbrauchsgütern, um die zugewanderte Arbeiterschaft in dieser unfruchtbaren Gegend ernähren zu können. Die Oasen-Gebiet von Xiangride, das wegen seiner günstigen natürlichen Bedingungen zuerst von Mongolen und Tibetern bebaut wurde, ist eines der nächst gelegenen Getreideproduktionszentren. Das Umsiedlungsprojekt, das zuerst von der Weltbank finanziert werden sollte, ist ganz im Sinne der chinesischen Bevölkerungspolitik, die regionale Wohn- und Entwicklungsmuster umzuändern tendiert. Seine Finanzierung durch die Weltbank hätte einen Präzedenzfall geschaffen, mit dem die chinesischen demographischen Umstrukturierungs- und Entwicklungsziele durch eine internationale Institution unterstützt worden wären.

Die Durchführung des Umsiedlungsprojektes wird beträchtliche Auswirkungen auf die Bevölkerung und ethnische Zusammensetzung in Xiangride und die umliegende Gegend haben. Der Vizegouverneur von Qinghai, Bai Ma, machte in seiner Erklärung an westliche Journalisten im letzten Jahr keine konkreten Angaben über die ethnische "Zusammensetzung" der nach Distrikt Tulan, dem Zielgebiet, umzusiedelnden Leute, wobei er allerdings seinen Worten nach zugab, daß "eine Reihe von Minderheitsvölkern" darunter sei. Das im Sommer 1999 von der Weltbank veröffentliche "Resümee" zeigt, daß ungefähr 52% der insgesamt für die Umsiedlung ausersehenen armen Bauern aus drei "Minderheitsgruppen", den Hui (chinesische Moslems), Tu und Salar stammen (Die Monguor, im Chinesischen als Tu bekannt, werden von anderen Mongolen unterschieden. Die Salar werden von der chinesischen Regierung offiziell als eine der 10 Unterkategorien von Moslems bezeichnet, die sich hauptsächlich durch ihren Wohnort definieren und die die zentralasiatische Turksprache sprechen). Die Han Chinesen machen 42% aus und die Tibeter etwa 6%. Mongolen gab es dabei keine.

Das genannte Weltbankpapier berichtet, die jetzige Bevölkerung im Distrikt Tulan (52.669) setze sich aus etwa 53% Chinesen (Han), 23% Tibetern, 14% Mongolen, 7% Hui, 1,5% Salar und 1% Tu zusammen. Diese der Weltbank wahrscheinlich von ihren chinesischen Partnern gelieferten Daten, welche die beträchtliche Zahl von zumeist chinesischen Häftlingen in den Arbeitslagern (laogai) nicht einschließen, kontrastieren auffälligerweise mit den offiziellen Daten der Volkszählung von 1990. Fast ein Jahrzehnt, ehe die Bank ihr "Übersichtsdokument" veröffentlichte, lag die offiziell genannte Einwohnerzahl von Tulan höher (56.090) mit mehr Chinesen (60%) und weniger Tibetern (19%). Diese Veränderung beruht vor allem auf einem Rückgang von fast 17% bei den Han Bewohnern des Distrikts (von 33.636 in 1990 auf 27.977 in dem Weltbankdokument). Daß die Gesamteinwohnerzahl Tulans und gar noch die chinesische Bevölkerung in diesem Jahrzehnt gesunken sein soll, während der Anteil an Tibetern gestiegen wäre, ist unvereinbar mit dem Wirtschafts- und Entwicklungsboom, der kennzeichnend für die 90er Jahre war, und veranschaulicht eher, wie Statistiken dazu neigen, sich nach anderen Faktoren als der vollen und genauen Wiedergabe von Fakten zu richten.

Die vorgesehene Einwanderung von annähernd 58.000 Bauern, von denen dem Plan der Weltbank zufolge über 90% fremdstämmig sind, wird die Bevölkerung des Distrikts mehr als verdoppeln. Wenn die ethnische Zusammensetzung der Einwanderer dieselbe bleibt wie bei dem ursprünglichen Weltbankplan, wird sich der Prozentsatz an Tibetern auf 9,2% und derjenige der Mongolen auf 5,9% reduzieren, wobei die Einwohnerzahl von Tulan auf über 110.000 steigen wird. Die tibetische und mongolische Bevölkerung der Gegend wird wahrscheinlich durch den Zustrom neuer Siedler im Gefolge der Entwicklung von Xiangride und anderen Kleinstädten der Gegend noch weiter reduziert werden. Die chinesische Regierung betonte außerdem, das von der Weltbank vorgeschlagene Umsiedlungsprojekt im Distrikt Tulan sei ein geeignetes Modell für zukünftige Entwicklungen in der Provinz.

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